Ich trage eindeutig das LehrerInnen-Gen in mir, und so habe ich als Erstberuf Primarlehrerin gelernt. Bei einem Unfall erlitt ich eine Querschnittlähmung. Seither bin ich im Rollstuhl unterwegs. Um meinen geliebten Beruf weiter ausüben zu können, absolvierte ich an der Uni Zürich ein Geschichtsstudium. Seit fast drei Jahrzehnten unterrichte ich an einer Berufsschule allgemeinbildende Fächer.
Meine Aufgabe
Berufslernende im «dualen Berufsbildungssystem» haben neben den berufskundlichen Fächern ca. ein Drittel «Allgemeinbildung», die sich aus den zwei Bereichen «Gesellschaft» und «Sprache & Kommunikation» zusammensetzt. Meine Lernenden haben den GärtnerInnen-Beruf, entweder Fachrichtung Stauden oder Baumschule, als Berufsausbildung gewählt. Bei mir müssen sie sich dann mit Texten (lesen oder produzieren) und Aspekten wie Politik, Recht, Wirtschaft, Kultur, Geschichte usw. befassen. Ich bereite den Unterricht vor, führe ihn durch und bearbeite nach (korrigieren, auswerten, beurteilen und benoten).
Wir haben in unserer Berufsschule Blockunterricht, d.h. die Lernenden kommen viermal pro Jahr für jeweils zwei Wochen in die Schule. In der übrigen Zeit sind sie in ihrem Lehrbetrieb und lassen sich dort ausbilden. Für mich bedeutet das, pro Woche 15 Lektionen in derselben Klasse zu erteilen, was dann sehr intensiv und anstrengend ist. Dafür habe ich zwischendurch auch wieder mal eine Woche unterrichtsfrei.
Gesamteinschätzung Zufriedenheit berufliche Situation
Ich kann nur die maximale Punktzahl 10 geben, obwohl das natürlich nicht konstant und in jeder Hinsicht stimmt. Aber ich habe es noch nie bereut, diesen Beruf gewählt zu haben und ihn auszuüben.
Was mir besonders gefällt: Mir werden Menschen «anvertraut», die etwas von mir erwarten, nämlich dass ich ihnen Unterrichtsstoff möglichst spannend und interessant vermittle und dass wir gemeinsam (die Lernenden als Klasse und ich als ihre Lehrperson) die relativ lange Zeit in einem angenehmen Klima verbringen werden.
Eine Klasse bleibt aber doch nur für eine begrenzte Zeit mit mir zusammen und ich darf sie auf ihrem Weg und in einem Fach (Allgemeinbildung) begleiten, aber die Beziehung wird sich nach zwei Jahren wieder auflösen müssen. Ausserdem bin ich für sie nicht die einzige Lehrperson (wie z.B. in der Unter- und Mittelstufe der Primarschule), sondern nur eine von vielen. Ich darf mich also nicht zu stark an die mir anvertrauten Menschen binden und muss immer eine gewisse «Beziehungsdistanz» wahren.
Am Lehrberuf ist sicher auch der gute Lohn ein positiver Aspekt. Je höher die Stufen, desto höher der Lohn. Durch diese finanzielle Ausgangslage konnte ich mir immer ein 50 Prozent-Pensum leisten. Mit zunehmendem Alter und behinderungsbedingten Beschwerden muss ich allerdings zurückstecken, werde jedoch vom 35-Prozent-Pensum genauso herausgefordert wie früher und verdiene einiges weniger.
Was mir fehlt: Positives Feedback von den Lernenden im Sinne von Begeisterung, Komplimenten, Dankbarkeit usw. darf ich kaum je erwarten, denn sie empfinden diesen Unterricht nicht unbedingt als unterhaltsam oder high-light in ihrem jugendlichen Leben. Ich «zwinge» sie zu Hausaufgaben, Aufmerksamkeit für sie nicht besonders interessierende Inhalte, Präsentationen, Prüfungen usw., und zu allem hin bekommen sie harte Kritik und Noten - wer mag das schon? Es wäre manchmal schön zu hören, dass sie «gerne» in meinen Unterricht kommen oder daran zurückdenken, dass sie «viel gelernt» hätten usw. Dass es «still» bleibt und keine Reklamationen kommen, ist doch auch schon ein gutes Zeichen, sage ich mir.
Bei der Zufriedenheit mit der Arbeitsstelle gibt es eher noch Luft nach oben.
Positiv: Innerhalb eines Kurses behandelt werden muss oder heute eher das, was die Lernenden nachher wissen und können müssen, steht im Lehrplan. Es gibt Abertausende von Möglichkeiten, einen Lerninhalt zu vermitteln, und ich probiere gerne immer wieder neue aus. Zum Glück habe ich Unterrichts- und Methodenfreiheit, d.h. ich bin innerhalb meines Unterrichts ziemlich frei und geniesse das sehr. Jede Lehrperson darf ihren eigenen Stil pflegen, und zwar auch im Umgang mit den Lernenden.
Weniger toll: Weil ich in einer «Aussenstation», nicht im Hauptgebäude, unterrichte (die Schule hat mehrere Standorte), habe ich lediglich ein Schulzimmer, ein rollstuhlgängiges WC, ein Lehrpersonen-Büro und einen Parkplatz für mein Auto. Es gibt weder einen Getränkeautomaten, noch eine Mensa in erreichbarer Nähe für mich. Die Mensa liegt so steil am Hang, dass ich sie effektiv nur mit dem Auto aufsuchen könnte, was jedoch unrealistisch ist, denn ich müsste zweimal ein- und aussteigen, um etwas essen zu können, und zwar der Witterung ausgesetzt und unter enormem Zeitdruck. Die neue Schulleitung zeigte wenig Verständnis für meine Forderung nach Verpflegung, denn alle Nichtbehinderten – Lernende wie Mitarbeitende – können sich problemlos auf dem ganzen Areal bewegen und «schnell» was essen oder trinken gehen über die direkten Treppen- und Fusswege durch die Gärten. Ich konnte immerhin durchsetzen, dass mir ein Mikrowellen-Gerät und ein kleiner Kühlschrank ins Lehrerpersonenbüro gestellt wurde, so kann ich wenigstens mal etwas Warmes zubereiten über Mittag. Das Öffnen der schweren Türen allerdings wollte mir von der Direktion niemand erleichtern und ich stellte ein Gesuch zu «behinderungsbedingter Arbeitsplatz-Anpassung», was zum Glück durch die IV prompt erledigt wurde. Seither kann ich drei Räume per Funksignal öffnen und die Türen öffnen sich automatisch. Allerdings muss ich selber dafür sorgen, dass sie bei Störungen und Defekten wieder repariert werden, denn von den KollegInnen ist niemand darauf angewiesen und die IV, nicht der Arbeitgeber, bezahlt auch die Reparaturen.
Besondere Anforderungen
Behinderungsbedingt muss man sich in diesem Beruf schon auf einige besondere Anforderungen vorbereitet sein und damit umgehen können. An meiner Arbeitstelle sind es konkret:
- Zeit für Selbstpflege (vor allem WC) ist kaum genügend vorhanden, also wenn die Lernenden 15 Minuten Pause machen, schaffe ich es in den wenigsten Fällen, rechtzeitig wieder vom WC zurück zu sein und den Unterricht fortzuführen. Eine Erholungspause hatte ich aber so natürlich nicht. Das heisst, ich muss den Unterricht so einteilen, dass die Lernenden zwar auch Pause machen, aber danach oder davor etwas zu arbeiten haben, das mir mindestens 20 Minuten, vorzugsweise eine halbe Stunde «freie» Zeit verschafft. Die Lernenden wollen in der Regel lieber «durchmachen», also Pausen, auch über Mittag, möglichst verkürzen, damit sie am Ende früher fertig sind und die Schule verlassen können. Das kann ich nicht immer anbieten und muss manchmal auf meinen kleine «Auszeiten» beharren.
- Die Körperbehinderung und der Rollstuhl verhindern ziemlich viel Spontaneität beim Unterrichten, die ich früher als Fussgängerin sehr schätzte (es ist so schönes Wetter draussen, machen wir doch ein bisschen Unterricht in der Badi, oder gehen wir kurz raus für eine Schneeballschlacht). Es ist auch schwierig, während des Unterrichts eine Planänderung zu machen und noch kurz-schnell ein völlig anderes Arbeitsblatt ausdrucken zu gehen, zumal auch der Drucker/Kopierer ab und zu seine Flausen hat und Papierstaus produziert, für deren Lösung ich Hilfe brauche.
- Besonders eindrücklich, wenn auch arbeitsintensiv, sind jeweils Exkursionen, Ausflüge, Sporttage, Lager und Anlässe, bei denen die ganze Schule mitmacht. Da kann ich nicht immer eingesetzt werden und bleibe zuhause oder leiste eine banale Hilfestellung, obwohl ich lieber voll dabei wäre. Für meine eigenen Klassen hingegen kann ich Exkursionen und Ausflüge so planen, dass sie ganz «barrierefrei» gestaltet sind.
- Lehrpersonen müssen ja immer wieder zusammenkommen (Fachgruppenaustausch, Notenkonvent, Klausurtagungen, Weiterbildungen und Team—Anlässe, wo man gemeinsame Ausflüge und Essen veranstaltet). Weil ich weit und breit die einzige Rollstuhlfahrerin bin, fällte es den KollegInnen immer schwer, alles so zu organisieren, dass ich dabei sein und mitmachen kann. Immer wieder kommt es vor, dass sie mich vergessen und ein lauschiges Restaurant im Hinterland reservieren, zu dem sie hinwandern wollen, das aber weder einen stufenlosen Eingang noch ein zugängliches WC hat. So muss ich die Spielverderberin sein und sie bitten, alles anders zu organisieren. Dann spielen sie mir den Ball zu und ich muss Alternativen aufzeigen, ihnen barrierefreie Möglichkeiten vorschlagen, die ich selber zuerst mühsam abgeklärt und vielleicht sogar rekognosziert habe. Das «stinkt» mir manchmal und ich sage den Termin einfach aus irgendwelchen Gründen ab, so dass sie ihren Event ohne mich durchziehen können und kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen.
Alles in Allem braucht es diesbezüglich ein dickes Fell. Ich muss viele Nachteile in Kauf nehmen, damit ich die Vorteile geniessen und meinen geliebten Beruf ausüben kann. Der Arbeitgeber (das sind mehrere Personen, die mich vielleicht nicht mal kennen) möchte lieber nicht mehr tun müssen für mich als für alle anderen auch. Man soll besser nichts merken von der Behinderung, vor allem darf es nichts kosten. Ich muss also ein bisschen «froh» sein, dass ich überhaupt unterrichten darf.
Berufswahl
Lehrerin war schon als Kleinkind «mein» Beruf, da auch mein Vater Lehrer war und ich von Kindsbeinen an nicht nur in seinem, sondern auch in vielen anderen Schulzimmern verkehrte. Ich spielte wahnsinnig gerne mit meinen jüngeren Brüdern und anderen Kindern «Lehrerlis-Schüelerlis» und sie mussten dabei Rechnen, Schreiben und Lesen, was ich dann jeweils korrigierte und benotete. Also ich kann nicht leugnen, das mir dieses Lehrerinnen-Getue einfach im Blut lag. Später wurde mir klar, weshalb, denn sowohl in der Herkunftsfamilie meiner Mutter, als auch meines Vaters, gab es zahlreiche Lehrer (keine Lehrerinnen!). Ein Verwandter war in den Fünfziger Jahren beim Zirkus Knie mitgereist und hatte die Kinder der ArtistInnen in einem Wohnwagen unterrichtet. Das machte mir grossen Eindruck und in meinen Träumen sah ich mich schon zwischen Elefanten und Clowns diesen speziellen Kindern das Rechnen, Lesen und die Geografie beizubringen (daneben hätte ich vielleicht noch am Trapez ein paar Kunststücke gelernt).
Es gab auch eine Zeit, da wollte einmal unbedingt Hunde-Coiffeuse werden, weil ich eine Hunde-Liebhaberei-Phase hatte, in der ich die Hunde aus der Nachbarschaft zum Spazieren ausführte. Als ich in einer Fernsehsendung sah, dass es in der Stadt tatsächlich Hunde-Salons gab, in denen die Viecher geduscht, shampooniert und frisiert wurden, war ich hin und weg.
Geliebäugelt habe ich auch mit dem Dasein einer «Air-Hostess» (wie es damals noch hiess, heute «Flight-Attendant»), aber dieser Plan wurde durchkreuzt durch mein ständiges Kauen an den Fingernägeln, was ich hätte aufgeben müssen.
Ernsthaft in Frage kam aber nur mein heutiger Beruf. Ich bin eine Lehrerin, eine «Pädagogin», die gerne anderen etwas beibringt und dabei selber auch immer weiter lernt. Unterdessen glaube ich, dass sehr viele Menschen dieses «PädagogInnen-Gen» in sich tragen, denn alle Eltern auf dieser Welt müssen ja ihren Kindern von Beginn an vieles beibringen, Ereignisse erklären, Fertigkeiten üben, Fragen beantworten, Geduld haben und sie in ihren Fähigkeiten fördern. Sogar in der Tierwelt sehen wir, wie die Jungen von den Älteren lernen. Somit ist es also nicht weiter verwunderlich, dass viele Menschen sich dazu «berufen» fühlen, es auch beruflich und nicht nur mit den eigenen Kindern zu tun.
Nach der Reha ging es darum, mich wieder in die Erwerbstätigkeit «einzugliedern». Die Unfallversicherung finanzierte alles Medizinische, die IV musste sich um meine berufliche Wiedereingliederung kümmern und ich hatte zum ersten Mal im Leben mit einem IV-Berufsberater zu tun. Natürlich wäre die IV froh gewesen, wenn ich einfach wieder als Primarlehrerin gearbeitet hätte, denn das wäre sozusagen zum «Nulltarif» gegangen. Doch da wehrte ich mich dagegen und argumentierte, dass erstens Primarschulhäuser (damals) kaum zugänglich seien und ich zweitens mit den Kindern weder auf eine schöne Schulreise, noch ins Skilager, noch draussen in die Natur für Anschauungsunterricht gehen könnte. Ich wollte studieren und dann erst schauen, was und wo ich unterrichten soll. Mein damaliger IV-Berufsberater war ganz auf meiner Seite und versetzte Berge, um die IV-Kommission von meinem Vorhaben zu überzeugen. Schliesslich erhielt ich eine Verfügung für ein Grundstudium (ca. bis zur Halbzeit) und musste Fächer studieren, die ich nachher auch unterrichten konnte. Darum entschied ich mich für Geschichte und Germanistik (Deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft). Ein Kantonswechsel zeigte mir dann auf, was so ein Berufsberater ausmacht, denn im Kanton Zürich argwöhnte man eher mit meiner «Eingliederung», die ein ganzes Studium inklusive Höheres Lehramt bedeutete. Ein Berufsberater getraute sich sogar, mich zu ermahnen, wie viel Geld die IV bereits für mich ausgegeben hätte und ich dürfte mich schon etwas dankbarer zeigen. Das ärgerte mich sehr, aber es gibt halt auch bei der IV solche und solche Typen. ;-)
Berufsausbildung
Ich studierte von 1991 – 1999 an der Universität Zürich, die damals mehr recht als schlecht rollstuhlgängig war. Es gab zwar spezielle Zugänge über Rampen, vereinzelte Treppenlifte und in den wichtigsten Gebäuden ein dementsprechendes WC, das aber nur über zeit- und kraftraubende Umwege erreicht werden konnte. Ich verzichte jetzt darauf, auf all die Widerwärtigkeiten hinzuweisen, die uns damals das Studieren erschwerten. Wenn Studierende mit Behinderung zu viele Hürden zu überwinden haben und ständig mit logistischen Problemen beschäftigt sind, können sie nicht im gleichen Tempo studieren wie andere und ausserdem verunmöglicht ihnen das den Kontakt zu Mitstudierenden. (Die anderen gehen Kaffee trinken, die Rollstuhlfahrerin durchquert das ganze Gebäude, um aufs WC zu gehen, was die ganze Pausenzeit in Anspruch nimmt.) Ich konnte damals nie mit einem Tram oder einem Bus fahren, musste immer mit dem Auto kommen, überall um einen Parkplatz bangen und womöglich noch im strömenden Regen ein- oder aussteigen.
In den letzten zwanzig Jahren hat sich erfreulicherweise doch einiges zum Besseren verändert. Noch immer ist es nicht genau gleich bequem und barrierefrei wie für Nichtbehinderte, aber es gibt doch ein Gleichstellungsgesetz und die UNO-Behindertenrechtskonvention, die rechtliche Rahmenbedingungen setzen.
Stellensuche
Nach dem Studium meldete ich mich schnurstracks beim RAV (Regionale Arbeitsvermittlung) und besprach die Stellensuche mit einer Beraterin, mit der ich wohl ausgesprochenes Glück hatte, denn sie bemühte sich sehr um mich und gab mir gute Ratschläge. Sie setzte durch, dass mir von der ALV-Kasse ein dreitägiger Excel-Kurs bezahlt wurde, obwohl das damals nicht zu den wichtigsten Qualifikationen für eine Lehrperson galt.
Als Rollstuhlfahrerin war ich schon allein durch die Architektur des öffentlichen Raums benachteiligt, denn die meisten Bildungsstätten waren gar nicht zugänglich. Diese Beraterin war es auch, die mir nach dem Absenden meiner Bewerbung geraten hatte, mit einem Schreiben nachzudoppeln, und zwar weil die Stelle als «30-50»-Pensum mit «ev. Sport» ausgeschrieben war und ich mich natürlich als Rollstuhlfahrerin vorgestellt hatte, die sicher keinen Sportunterricht erteilen könnte. «Sie haben doch viel Sport gemacht vor dem Unfall und jetzt machen Sie Rollstuhl-Basketball und fahren Skibob, das müssen Sie doch schreiben!» sagte sie. Also schrieb ich nochmals einen Brief mit dem Angebot, dass ich in einer barrierefreien Turnhalle durchaus gewisse Sportarten, z.B. auch Rollstuhl-Basketball, unterrichten könnte, wenn es denn unbedingt sein müsse. Aber ich wolle vor allem sagen, dass ich mich mit entsprechender Einrichtung sehr selbständig bewegen könne und körperlich fit sei.
Das hat dem damaligen Rektor Eindruck gemacht und ich wurde sofort zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Schliesslich bekam ich die Stelle zu 30 Prozent (für den Sport wurde noch jahrelang weiter eine Lehrperson gesucht und kaum gefunden) und durfte das Pensum schon nach einem Jahr auf 50 erhöhen.
Wissenswerte für Interessierte
Im Lehrberuf sind die «Karrierechancen» nicht besonders hoch, denn öffentliche Schulen sind nicht gleich hierarchisch wie Firmen oder Betriebe, aber sicher kann man/frau sich auch ständig weiterbilden und sich z.B. in der Schulentwicklung engagieren.
Wie schon oben gesagt, glaube ich, dass sehr viele Menschen das «pädagogische Gen» in sich tragen. Wer gerne mit Geduld und Herzblut anderen etwas beibringt, ist ganz sicher schon vorbestimmt für diesen Beruf. Allerdings muss sie sich zuerst selber die beruflichen Fähigkeiten aneignen und die gesetzlichen Vorbedingungen erfüllen: Matura oder Berufsmatura, danach Pädagogische Hochschule und/oder Universitätsstudium. Es gibt auch noch andere Wege wie z.B. «QuereinsteigerInnen», die aus anderen Berufen kommen und später noch die Lehrerausbildung machen. In den Berufsfachschulen erteilen Berufsleute die «berufskundlichen» Fächer, nachdem sie zusätzlich eine (berufsbegleitende) Ausbildung in Didaktik, Methodik und Pädagogik absolviert haben.
Was getan werden müsste, um die beruflichen Chancen von Frauen (und Männern) mit meiner Behinderungsart im Lehrberuf zu verbessern:
Heute wäre es immer noch schwierig, die optimale barrierefreie Schule zu finden. Viele «altehrwürdige» Schulhäuser unterliegen dem Denkmalschutz und einige Schulen haben einen «alten» und einen «modernen» Teil. Auch wenn es einen Lift gibt und vielleicht ein Rollstuhl-WC irgendwo, wurde nicht daran gedacht, dass eine betroffene Person tatsächlich in diesem Gebäude beruflich tätig sein müsste. Für eine/n Lernende/n alle paar Jahre würde es vielleicht genügen, nicht aber für eine Lehrperson, die fast täglich sämtliche Räume und Einrichtungen benutzen muss (Drucker/Kopierer, Lehrerzimmer, Vorbereitungsbüro, Bibliothek, Schulzimmer mit Wandtafel, Tische und Bänke, Türen und Fenster usw.)
Was sonst noch wichtig ist für diesen Beruf:
Ein gesundes Selbstvertrauen und viel Selbstsicherheit trotz der Behinderung sind eigentlich die Voraussetzungen, um meinen Beruf auszuüben. Die Lernenden, also Jugendliche und junge Erwachsene, haben kein «Problem» mit meiner Behinderung, es interessiert sie gar nicht so. Ein schönes Erlebnis für mich war an einem Elternabend, als ich eine mehrwöchige Vertretung in einer Gymi-Klasse während deren Probezeit absolvierte. Eine Mutter meinte nach dem Gespräch, sie sei völlig überrascht gewesen, dass ich in einem Rollstuhl sitze, ihr Sohn habe zwar sehr viel über den Deutsch-Unterricht und mich als Lehrperson erzählt, aber mit keinem Wort erwähnt, dass ich Rollstuhlfahrerin sei. Offenbar war das kein ihm wichtiges Merkmal und es freute mich sehr, dass die Lernenden diesen Umstand völlig ausblendeten.
Meine Lernenden sind weder mehr, noch weniger respektvoll mir gegenüber als anderen Lehrpersonen ohne Behinderung, und das will ich auch so beibehalten. Noch nie habe ich erlebt, dass sie den Umstand meiner Behinderung ausgenützt oder sich darüber beschwert hätten.
Sie sind zum Teil sehr hilfsbereit und ich muss einfach sagen, wenn ich eine Hilfestellung brauche. Sie müssen vielleicht die Storen, die Leinwand, das Licht usw. bedienen, selber ihre Unterlagen im Kopierraum holen gehen oder schweres Material aus meinem Auto ins Schulzimmer tragen. Letzthin, als ich am Morgen bei strömendem Regen aus dem Auto steigen wollte, stand plötzlich ein Lernender neben dem Auto, hielt seinen Schirm über mich und meinte: «Ich dachte, Sie können jetzt ein schützendes Dach gebrauchen, oder?» Als wir gemeinsam zurückkamen, zogen ihn die anderen auf: «Du Schleimer! Willst du eine gute Note bekommen, gell?» Worauf ich sagte: «Aber klar doch, dafür kriegt er einen Bonus-Sechser!» und sich die anderen gespielt ärgerten: «Nächstes Mal komme ich mit dem Schirm, wenn’s regnet!»
Ich meine, dass meine Schülerinnen und Schüler nie vergessen werden, dass sie eine Lehrperson im Rollstuhl erlebt haben, und damit bedeutet es auch ein bisschen unbewusste Öffentlichkeitsarbeit, die ich nebenher noch leiste.
Infos zur Ausbildung als Berufsschullehrperson Allgemeinbildung (Link)
Fachstelle «Studium und Behinderung» Universität Zürich (Link)
Beratende Kommission, in der Personen sitzen, die selber von Behinderung betroffen sind und studiert haben (Link)